EXKLUSIV Wer in Deutschland angeklagt wird, kommt in manchen Fällen mit einer Geldbuße davon, damit das Strafverfahren eingestellt wird. Ein Teil des Geldes geht in die Staatskasse. Einen nicht unerheblichen Teil erhalten gemeinnützige Vereine und Einrichtungen. Das Geld soll vor allem in die Vorbeugung von Verbrechen fließen. Welche Vereine entsprechende Zuwendungen bekommen, können Richter und Staatsanwälte frei entscheiden. Eine Kontrolle oder Aufzeichnungen, welche Richter wohin Gelder überweisen lassen, gibt es nicht. So erhalten manche Vereine jährlich große Spenden von Gerichten, andere Vereine gehen leer aus. Eine ungleiche und intransparente Verteilung, die sich auch in Taucha zeigt: Ein Verein profitierte in den Jahren 2007 bis 2018 ganz deutlich. Eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV.Lokal und Taucha kompakt.
Rund 50.000 geförderte Einrichtungen und Vereine, die in den Jahren 2007 bis 2021 in Deutschland von der Justiz Gelder erhalten haben, sind in einer aktualisierten Datenbank von CORRECTIV.Lokal einsehbar. Mehr als eine Milliarde Euro gingen so in die Gemeinnützigkeit. Um das vorweg zu sagen: Dass Vereine Bußgelder aus eingestellten Strafverfahren erhalten, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Gelder helfen etwa, um Kinder- und Jugendarbeit zu unterstützen, Prävention zu leisten, Sportvereine am Leben zu erhalten, Übungsleiter zu bezahlen und vieles mehr. Kritik gibt es aber seit Jahren an der Intransparenz der Verteilung. Denn Richter und Staatsanwälte können frei entscheiden, wer die Gelder bekommt. Und überprüft werden sie von niemandem. Bundesweit gibt es keine Behörde, die Profiteure des Systems protokolliert oder eventuelle Zusammenhänge zwischen Mitarbeitern der Justiz und begünstigten Vereinen kontrolliert.
Unter den von CORRECTIV.Lokal recherchierten Empfängern der Bußgelder aus der Justiz finden sich unter anderem mehrere Jobcenter, der ADAC, Schützenvereine oder ein Weingut. Auch missionarische Vereine und Abtreibungsgegner sind dabei. Das Recherchenetzwerk hält es zumindest für diskussionswürdig, ob hier Richter gegen das Neutralitätsgebot verstoßen hätten. Auch wurden in der Vergangenheit persönliche Verstrickungen zwischen Richtern und Vereinen aufgedeckt: 2014 recherchierte CORRECTIV zu einem bayerischen Verein, der Ausgrabungen in Ägypten unterstützte. Eine ehemalige Richterin hatte den Verein gegründet. Sie bestätigte damals, dass sie ihre Kontakte in die bayerische Justiz nutzte. Ihr Verein erhielt rund 90.000 Euro. Im Jahr 2018 folgte eine Recherche über Beamte der Bremer Staatsanwaltschaft, die Bremer Sportvereinen rund 79.000 Euro aus der Justiz zuwiesen. Eine darauffolgende Untersuchung im Bremer Senat kam zu dem Ergebnis, dass einer der Staatsanwälte „Mitglied in einem von ihm begünstigten Verein ist“.
Katrin Seidel, Pressesprecherin am Landgericht Leipzig, kann das zumindest für ihren Bereich „komplett ausschließen“, sagt sie. „Sich selbst oder persönlich nahestehende Vereine zu begünstigen, ist ein No-Go. Aus eigener Beobachtung kann ich das überhaupt nicht bestätigen“, sagt sie. Die große Ungleichverteilung habe eher etwas damit zu tun, ob die Vereine bereits bekannt sind, ob sie schon einmal Geld erhalten haben und ob sie viel Eigenwerbung innerhalb der Justiz machen. „Nur selten hat man die Liste aller gemeinnützigen Vereine zur Hand. Viele Vereine schicken regelmäßig Infomaterial oder einfach einen Aufkleber mit ihrer Bankverbindung. Das hilft im Alltagsgeschäft. Wenn der Verein dann bereits aus einer früheren Zahlung als zuverlässig - das Gericht benötigt ja die Mitteilung über den Zahlungseingang und damit die Erfüllung der Geldauflage - bekannt ist, ist die Chance groß, dass er auch wieder Geld erhält. Wer letztlich begünstigt wird, entscheidet der Richter“, so Katrin Seidel.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von Taucha kompakt mit CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk fördert Recherchen im Lokaljournalismus. In der neuen Spendengerichte-Datenbank von CORRECTIV können Sie rund 50.000 Einrichtungen durchsuchen, die von Gerichten und Staatsanwaltschaften gefördert wurden: correctiv.org/spendengerichte
Dass Vereine überhaupt Gelder von der Justiz erhalten können, ist offenbar nur wenigen Verantwortlichen bekannt. Von den über 80 im Vereinsregister gemeldeten Tauchaer Vereinen finden sich nach Informationen von Taucha kompakt nur wenige auf den „Zahllisten“ sächsischer Gerichte. Auf der Bußgeldliste des Landgerichtsbezirk Leipzig sind es nur vier Vereine: Der Anglerverband Taucha e.V., der Kegelsportverein Blau-Gelb Taucha e.V., der Leichtathletik-Club Taucha e.V. sowie der Verein der Freunde und Förderer des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Taucha e. V. Letztgenannter hat in den Jahren 2007 bis 2018 beträchtliche Summen von der sächsischen Justiz erhalten: 2007 waren es 2500 Euro, 2008 wurden 1550 Euro überwiesen, für 2009 sind 250 Euro angegeben. Im Jahr 2010 wurde der Verein mit 2750 Euro begünstigt, 2012 mit 2100 Euro, 2013 mit 1000 Euro und 2016 mit 750 Euro. So steht es in der Datenbank von CORRECTIV . Dazu kommen noch Zahlungen aus 2017 und 2018 von insgesamt 2150 Euro, sagt Meike Schaaf, Richterin und Pressesprecherin am Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Macht eine Summe von 13.050 Euro. Seit 2019 seien keine Zuweisungen oder Einzahlungen mehr erfolgt.
Von 2007 bis 2010 erhielt der Förderverein des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Taucha über 7.000 Euro von der sächsischen Justiz zugewiesen.
Warum es diese Zuweisungen gab und wer sie veranlasst hat, ist nur schwer zu ergründen. Ein ehemaliges Mitglied des Vorstandes im Förderverein des Tauchaer Gymnasiums sagt gegenüber Taucha kompakt, es habe in der Vergangenheit im Verein jemanden gegeben, der oder die privaten Kontakt zu Gericht und Staatsanwaltschaft gehabt habe. Dort sei in losen Abständen hingeschrieben wurden, dass man noch da sei. Offenbar genügte das. Was mit den mehr als 13.000 Euro vom Verein realisiert wurde und wie sie halfen, die gemeinnützige Arbeit im Sinne der Schüler zu unterstützen, war vom Förderverein nicht zu erfahren. Der jetzige Vorstand verweist auf Anfrage generell darauf, dass die Zahlungen in einer Zeit zugewiesen wurden, als noch andere Personen im Vorstand waren.
Zwischen 2012 und 2016 wurden noch mal über 3.000 Euro Bußgelder an den Förderverein des Gymnasiums verteilt.
Meike Schaaf vom OLG Dresden bestätigt, dass auf der Bußgeldliste der sächsischen Justiz nur vier Tauchaer Vereine auftauchen. In den vergangenen beiden Jahren hätte neben dem Förderverein des Geschwister-Scholl-Gymnasiums nur ein weiterer Verein Geld erhalten. 1800 Euro seien zugewiesen worden. Der Name des Vereins wurde nicht mitgeteilt. Welcher Richter oder welche Richterin welchen Vereinen welche Summen zuweist, sei am OLG Dresden nicht bekannt. Aufzeichnungen dazu würden nicht existieren. Warum nun also stets der Förderverein des Gymnasiums Geld erhielt und neben dem anderen ungenannten Verein kein weiterer, bleibt unklar.
Vereine, die ebenfalls von den Zuweisungen sächsischer Gerichte profitieren wollen, sollten sich ganz einfach per E-Mail an das Oberlandesgericht Dresden wenden. „Es reicht eine Mail mit dem Namen des Vereins, Adresse sowie ganz kurzer Beschreibung über den Zweck des Vereins sowie der Bekundung des Interesses an einer Aufnahme in die Liste. Dabei kann man auch einen Freistellungsbescheid oder die Satzung mitschicken“, sagt OLG-Sprecherin Meike Schaaf. Die E-Mail-Adresse lautet verwaltung@olg.justiz.sachsen.de. Bedingung für die Zuweisung von Zahlungen sei lediglich, dass es sich um eine gemeinnützige Einrichtung handelt. Welcher Verein dann Geld erhält, in dieser Entscheidung sei der Richter komplett. „Es darf und soll in keiner Weise der Eindruck entstehen können, es werde durch die Auswahl der gemeinnützigen Einrichtung, durch Kontrolle über zugewiesene Gelder oder ähnliches ein irgendwie gearteter Einfluss ausgeübt“, so Schaaf. Letztlich sei die Auswahl des Vereins für die Arbeit des Gerichts nicht von Bedeutung. Heißt wohl im Klartext: Auch künftig wird sich in Sachsen an dieser Vergabepraxis nichts ändern.